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Die Kopfbahnhöfe von London

London ist seit Jahrhunderten die Hauptstadt Englands und später vom Vereinigten Königreich und dann auch noch vom britischen Empire geworden. Sie hatte eine sehr große Hafenanlage, worüber Waren aus aller Welt importiert und in alle Welt exportiert wurden - jedoch nie direkt der Eisenbahn angeschlossen. Deshalb wirkte und wirkt sie noch immer wie ein Riesenmagnet zu dem schon 1801 eine Bevölkerung von über eine Million zählte. Alle Wege und Straßen führen nach London. So war es logisch, als die Eisenbahn technisch soweit entwickelt und wirtschaftlich attraktiv wurde, dass London Mittelpunkt dieses damals neuen Verkehrsmittels wurde.


Altes Logo der Staatseisenbahn ab 1956

Mit der Industrialisierung der Wirtschaft, die sich vor allem in Mittelengland (Birmingham, Manchester, Liverpool etc.) ausbreitete, explodierte die Nachfrage für schnelle Fortbewegungsmittel für Güter sowie Passagiere und Auto und Flugzeug waren noch nicht erfunden. Deshalb wurden unzählige Eisenbahngesellschaften neugegründet, die um die Verbindungen nach London konkurrierten. Sie errichteten prunkvolle palastähnliche Bahnhofsgebäude, die imponieren sollen. Im 19. Jh. wurden viele bedeutende Bauprojekte der Hauptstadt verabschiedet, darunter der Trafalgar Square, der Palast von Westminster, die Royal Albert Hall, das Victoria and Albert Museum, die Tower Bridge und die Universität von London (1860) - und eben Bahnhöfe.

Im Laufe der Zeit entstanden über 300 Bahnhöfe in und um London herum. Die meist größten und schönsten waren die Kopfbahnhöfe, die als Ende der jeweiligen Hauptstrecke gebaut wurden. Heute gibt es noch 13 davon, die alle im 19. Jh. rund um das Zentrum erbaut wurden, um sämtliche Teile des Königsreiches mit der Hauptstadt zu verbinden (drei wurden 1929, 1986 bzw. 1990 geschlossen und anschließend abgerissen). Viele wurden gleich oder unmittelbar nach Eröffnung mit einem Nobelhotel ausgestattet. Andere errichteten solche später als Ergänzung. Somit fielen einige der Gebäude verhältnismäßig riesig aus (siehe die alten Bilder weiter unten).

Der Bau von großen Bahnhöfen mit entsprechender Trasse, Gleisanlage und meistens einem Rangier- und Güterbahnhof braucht viel Platz. In der Regel wurden sie in ärmeren Gegenden genehmigt und gebaut, wo Grundstückspreise am niedrigsten waren. So wurden andere Gebäude niedergerissen und Teile der Bevölkerung aus der Gegend vertrieben. Dazu war London schon zu dieser Zeit mit Straßenverkehr verstopft und es drohte durch die Eisenbahn noch schlimmer zu werden. 1846 wurde nach einer Empfehlung einer königlichen Kommission eine Verbotszone in der Stadtmitte festgelegt, in der es keine (weiteren) Bahnhöfe gebaut werden dürfen. Waterloo schlüpfte rechtzeitig am Südufer der Themse durch den Amtschimmel und konnte 1848 gebaut werden. Fenchurch Street wurde 1841 vor diesem Verbot gebaut. Die Verbotszone wurde 1863 ausgeweitet nachdem der Bauboom nicht aufhörte. Allerdings war Victoria schon gebaut und andere wenige schon genehmigt. Ein zentraler Hauptbahnhof wurde abgelehnt.


 Karte der Hauptstrecken mit den Kopfbahnhöfen um 1969

Nach der Boomzeit des 19. Jhs. wurden die Eisenbahnen im ersten Weltkrieg unter staatliche Verwaltung gestellt. 1923 trat ein Gesetz in Kraft (Railways Act 1921), das alle Eisenbahnfirmen in vier Hauptgesellschaften gruppierte. Erst 1947 wurde die Eisenbahn vollkommen verstaatlicht. Am 1. Januar 1948 übernahm British Railways das gesamte Vermögen der "Großen Vier" (jedoch waren Ausnahmen vorgesehen). Ende der 60er und Anfang der 70er wurde unter Dr. Richard Beeching nach rein wirtschaftlichen Überlegungen das Eisenbahnnetz radikal verkleinert (sog. Beeching Axt). 1994 wurde das ganze Schienenverkehrsnetz wieder privatisiert mit Railtrack (später Network Rail) als Betreiber. Die Strecken wurden an über 100 Frachisenehmer vergeben.

Trotz der turbulenten Zeiten sind uns die alten Bahnhöfe bis heute als Zeugen des riesigen wirtschaftlichen Aufschwungs (und Abschwungs) des Landes und vor allem Londons erhalten geblieben. London ist noch größer und dichter geworden (im Großraum London wohnen rund neun Millionen Menschen). Die meisten der alten Bahnhofsgebäude stehen nicht mehr protzend am alten Platz, weil dort oft an-, um- bzw. neugebaut oder die Straßenführung neugestaltet wurde. Nur wenige befinden sich äußerlich noch (fast) im Originalzustand und die meisten sind mittlerweile im Inneren umgebaut und modernisiert worden. Dazu ist das Umland um London herum besiedelt bzw. noch dichter besiedelt. Bis zu 20 Million Leute wohnen dort. Viele davon arbeiten in London und pendeln jeden Tag dorthin.

Allein die Kopfbahnhöfe von London  nutzen jährlich eine halbe Milliarde Fahrgäste. Miteinander verbunden sind sie mit dem ältesten (seit 1863) und größten U-Bahn-Netz der Welt verbunden, das jährlich über eine Milliarde zusätzliche Fahrgäste befördert.

Zusammenstellung der Kopfbahnhöfe in London:

Name
(Bezirk)

Eröffnet
(umgeb.)

Ursprüngliche Eisenbahnges.

Millionen Fahrgäste pro Jahr

Anzahl der Gleise

Besonderheiten

London Bridge
(Southwark)

1836

(1866)

South East Railway/

London Brighton & South Coast Railway

50

16

Fernzüge nach Südostengland

Euston
(Camden)

1837

(1968)

London & Birmingham Railway

30

18

Fernzüge nach Schottland

Paddington
(City of Westminster)

1838

(1854)

Great Western Railway

30

14

Heathrow Express.

Fernzüge nach Südwestengland

Fenchurch

Street
(City)

1841

(1854)

London & Blackwall Railway

20

4

Züge zu östlichen Stadtteilen.
Keine direkt angeschlossene U-Bahn

Waterloo
(Lambeth)

1848

(1922)

London & South Western Railway

85

19

Größter Bahnhof Londons

King's Cross
(Camden)

1852

Great Northern Railway

25

12

Fernzüge nach Nordengland und Schottland.

National Express

(Reisebusse)

Victoria
(City of Westminster)

1860

London, Brighton & South Coast Railway/

London, Chatham & Dover Railway.

70

19

Gatwick Express.

Kanalfähren.

Großer Busbahnhof in der Nähe

Charing Cross
(City of Westminster)

1864
(1990)

South Eastern Railway

35

6

Am Nordende einer Brücke

Moorgate
(City)

1865
(1960er)

Metropolitan Railway

8

8

Unscheinbar

Ludgate Hill
(City)

1865

London, Chatham & Dover Railway

--

2

Geschlossen 1929

Broad Street
(City)

1865

North London Railway

--

9

Geschlossen 1986

Cannon Street
(City)

1866

South Eastern Railway

25

7

Am Nordende einer Brücke

St Pancras
(Camden)

1868
(2007)

Midland Railway

20

15

Eurostar.
Fernzüge nach Mittelengland

Holborn Viaduct
(City)

1874

London, Chatham & Dover Railway

--

8

Geschlossen 1990

Liverpool Street
(City)

1874

(1991)

Great Eastern Railway

55

18

Stansted Express.

National Express

(Reisebusse)

Marylebone
(City of Westminster)

1899

Great Central Railway

12

6

Nicht elektrifiziert

 

London Bridge
Der als erster erbaute Londoner Bahnhof, der auf der Südseite der Themse errichtet wurde, bildet eine Ausnahme mit einem Teil als Kopfbahnhof und einem Teil als Durchgangsbahnhof. Tatsächlich waren es ursprünglich zwei Bahnhöfe, die im Abstand von drei Jahren nebeneinander gebaut wurden. 1844 wurden die beiden vereint und die Trennwand entfernt. Gleich danach wurde weiter umgebaut, ausgebaut und wieder neugebaut. Erst 1866 wurde das jetzige Gebäude eröffnet. Über den U-Bahnanschluss verkehren hier zusätzlich 60 Millionen Fahrgäste.

Euston
Das heutige Aussehen aus den 1960er hat leider nichts mehr mit dem ursprünglichen prunkvoll gestalteten Bahnhof, der 1962 abgerissen wurde zu tun. Zu unterdimensioniert war er gewesen. Demnächst wird er jedoch noch einmal neu gebaut werden. Gleich nebenan sind die Bahnhöfe St Pancras und King's Cross, die andere Regionen bedienen.

Paddington
Dieser Bahnhof erlangte Ruhm im Roman "16 Uhr 50 ab Paddington" von Agatha Christie. Tatsächlich wurde dieser Bahnhof in einen Güterbahnhof umgewandelt und später dem Zerfall überlassen wurde (heute eine Wohnanlage). Das jetzige Gebäude wurde gleich in der Nähe gebaut und 1854 eröffnet.

Fenchurch Street
Als erste Bahnhof in der City wurde er mit nur vier Gleisen ausgestattet und fällt dadurch klein aus. Er ist auch der einzige Londoner Kopfbahnhof ohne direkt angeschlossene U-Bahn. Er ersetzte einen nur wenige Meter entfernter Kopfbahnhof, Minories, der 1853 geschlossen und später in einen Güterbahnhof umgebaut wurde. 1987 wurde die Docklands Light Railway (DLR) eröffnet, die vom alten Gelände aus operiert.

Waterloo (ursprünglich Waterloo Bridge)
Dieser größter Bahnhof Londons besteht aus einer riesigen Bahnhofshalle. Angeschlossen ist der 1994 erbaute Waterloo International, der bis 2007 den Eurostar bediente und seitdem leer steht. Auf der gegenüber liegenden Straßenseite befindet sich East Waterloo, der einen Durchgangsbahnhof bildet. Nach Jahren der Vernachlässigung wurde der Bahnhof ab 1900 neuerbaut und 1922 wiedereröffnet.

King's Cross
Gleich neben St Pancras und unweit von Euston gelegen wurde der Bahnhof auf dem Gelände eines ehemaligen Fieber- und Pockenkrankenhauses errichtet. Laut einer Legende soll sich der Bahnhof über dem letzten Schlachtfeld der britannischen Königin Boudicca befinden, ihre Leiche soll irgendwo unter den Gleisen begraben sein. Ruhm erlangte der imaginäre Bahnsteig 9 3/4 aus der Romanserie Harry Potter, von dem der Hogwarts-Express abfährt. 2010 wurde ein neuer Bahnsteig 0 in Betrieb genommen.

Victoria
Ursprünglich aus zwei getrennten Bahnhöfen entstanden, wurde durch das Interesse von verschiedenen Bahngesellschaften dieser Bahnhof und das entsprechende Gleisbett oft umgebaut. Der Bahnhof hat seinen Namen von der angrenzenden Straße (und nicht von der Königin, wie oft behauptet). 600 Meter entfernt befindet sich der große zentrale Busbahnhof Victoria Coach Station, der seit 1932 besteht.

Charing Cross
1905 stürzte ein Teil des ursprünglichen Dachs herunter und wurde ersetzt. 1990 wurde ein Teil des Bahnhofs neugebaut und mit Büro- und Einkaufskomplex ergänzt. Diese neue postmoderne Konstruktion prägt vom Süden über die Hungerford Bridge her das Stadtbild.

Moorgate (bis 1924 Moorgate Street)
Ursprünglich als städtischer Bahnhof eingesetzt wurde er durch Streckenerweiterungen immer mehr an den Fernverkehr angebunden. 1904 gab es Unstimmigkeiten zwischen zwei Eisenbahngesellschaften, die dazu führten, das dort 70 Jahre lang keine Fernzüge anhielten. 1960 wurde der Bahnhof ganz umgebaut und auf sechs Gleisen erweitert. 1975 gab es dort einen schweren Unfall mit 46 Toten, weil ein U-Bahn-Zug am Gleisende nicht rechtzeitig anhielt. Diese führte zu weitreichenden Verbesserungen der Sicherheitsmaßnahmen.

Broad Street
Gebaut, um den vorstädtischen Bedarf abzudecken, war er einst der drittbetriebsamste Bahnhof von London. Allerdings, verlor dieser Bahnhof wegen der U-Bahn und anderen Maßnahmen rund um London stetig an Wichtigkeit. Nach einem Bombenanschlagen im Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude immer baufälliger, bis es 1986 geschlossen wurde.

Ludgate Hill
Wegen der Nähe zu Blackfriars und Holborn Viaduct war dieser Bahnhof nie von Bedeutung und wurde 1929 geschlossen. Erst 1990 jedoch wurde das Gebäude abgerissen.

Cannon Street
Er wurde auf dem ehemaligen Gelände des Stahlhofs erbaut, wo Niederlassungen der Hansekaufleute sich befanden. Er wurde 1853 von Bremen, Hamburg und Lübeck verkauft. Der Bahnhof befindet sich am Nordende der Canon Street Railway Bridge. Das ursprüngliche Gebäude mit den zwei 41 Meter hohen Türmen hatte eine Länge von 210 Metern. Ein Jahr nach Eröffnung wurde ein fünfstöckiges Hotel dazu gebaut, das die gesamt Fassade prägte. 1958 wurde die Bahnhofshalle und 1960 das Hotel abgetragen, um Platz für ein neues Bürogebäude zu schaffen.

St Pancras (jetzt St Pancras International)
Eines der schönsten Bahnhofsgebäude Englands im neugotischen Stil mit einem über 80 Meter großen Uhrenturm. Die Bahnhofshalle war die größte freistehende jener Zeit. 1966 war geplant gewesen das gesamte Gebäude abzureißen, dass jedoch erfolgreich abgewehrt wurde. 2007 wurde er nach einem riesigen Umbau neueröffnet, um den Eurostar aus Paris und Brüssel zu bedienen.
(siehe detaillierte Beschreibung)

Holborn Viaduct
Wurde als Abzweigung zur Entlastung von Ludgate Hill (1865 erbaut, 1929 geschlossen) gebaut, als die Betreiberfirma die Kosten einer Erweiterung nicht stemmen konnte. Nach dem zweiten Weltkrieg verlor er an Bedeutung und wurde 1990 geschlossen.

Liverpool Street
Auf dem ehemaligen Gelände des Bethlem Royal Hospital (13. bis 17. Jh) erbaut, um den Kopfbahnhof Bishopsgate zu ersetzen, der anschließend 1875 geschlossen wurde. Wegen hoher Grundstückspreise und gewisser betrieblicher Wünsche waren die Baukosten enorm. Im ersten Weltkrieg wurde das Gebäude als erstes in London von deutschen Bomben getroffen. Nach der Pogromnacht kamen hier tausende unbegleitete Judenkinder aus Mitteleuropa an ("Kindertransport"), um bei Familien sicher unterzukommen. Später ging es mit dem Bahnhof bergab. Umfassenden Umbaumaßnahmen wurden 1990 abgeschlossen.

Marylebone
Geplant mit  zehn Gleisen, die wegen zu hoher Kosten auf vier reduziert wurden, galt er als kleinster Londoner Bahnhof. Der überlastete Paddington Bahnhof kam Marylebone zur Rettung und Züge wurden dorthin umgeleitet. Das führte dazu, dass der Bahnhof umfassend umgebaut werden musste und in den 1990ern kamen zwei Gleise hinzu, die jedoch wenige Jahre später stillgelegt wurden. 2006 wurden dann doch wieder zwei weitere gebaut.

Fassung und Gestaltung: Johnny Glover
Irrtümer vorbehalten