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Der Bahnhof St Pancras


Der Bahnhof vor dem Umbau

Am 1. Oktober 1868 eröffnet der Bahnhof St. Pancras als einer der ältesten und grandiosesten Bahnhöfe der britischen Hauptstadt. Mitte des 20. Jh. erreicht er jedoch einen Tiefpunkt und wird 1966 fast abgerissen. Auf der Hauptstrecke nach Norden liegt unsere Partnerstadt, Radlett.

1997, nach der Entscheidung für St Pancras als neue Endstation für die Eurostar-Züge werden Milliarden in die Modernisierung und den Umbau investiert. Am 14. November 2007 nach umfangreichen Renovierungsarbeiten eröffnet Queen Elizabeth II. offiziell den Bahnhof St. Pancras International.

Am 19. Oktober 2010 kommt der erste Test-ICE in St Pancras International an. Ab 2013 sollte es möglich sein von Frankfurt über Köln, Brüssel und Lille nach London mit dem ICE zu fahren.

Mit dem renovierten Bahnhof bekam London 2007 ein neues Aushängeschild - und Englands marodes Verkehrssystem machte ein großen Schritt in die Hightech-Zukunft. Gleichzeitig mit der Erneuerung des Bahnhofs wurde nach elf Jahren Bauzeit eine neue Hochgeschwindigkeitsverbindung in Richtung Eurotunnel eingeweiht. 5,9 Milliarden Pfund (damals knapp 8,5 Milliarden Euro) wurden insgesamt investiert. Das ist die größte Investition aller Zeiten in das britische Schienennetz. Somit wurde die britische Hauptstadt erstmals durchgehend mittels modernster Schienentechnologie mit dem Festland Europas verbunden.

Foto: Glover

Foto: Glover

Foto: Glover

Der Bahnhof wurde komplett erneuert; sieben Fernzugverbindungen und sechs U-Bahn-Linien verkehren hier. Trotz der baulichen Eleganz der Fassade eröffnet sich die wahre Pracht erst im Inneren des Bauwerks: Die viktorianische Architektur erinnert an eine Kathedrale, die Glasscheiben der metallenen Dachkonstruktion wurde durch neues selbstreinigendes Sicherheitsglas ersetzt und eine verlängerte flache Glasdachkonstruktion drangehängt. Alles wurde von der deutschen Firma Wolff+Meier aus Langgöns geliefert. Natürliches Licht flutet den 72 Meter breiten und 210 Meter langen Innenraum der nach dem Bauingenieur Barlow benannten Bahnhofshalle.

Foto: Glover

Metallteile, geschwärzt von dem Dampf und Ruß eines Jahrhunderts, glänzen wieder in neuer himmelblauer Lackierung. In den unteren Stockwerken, die ursprünglich als Lager u.a. für Bierfässer dienten, eröffnete eine edle Shopping-Mall. Im Wartebereich können internationale Reisende ihren Durst an der mit 90 Metern längsten Champagner-Bar Europas stillen und dabei die Eurostar-Züge bei der Ein- und Abfahrt beobachten.

Die neugotische Hotelpracht

Foto: Glover

Auch das angrenzende Midland Grand Hotel, ein weiteres Meisterwerk Londoner Architekturkunst, das aus den Filmen "Batman begins" und "Harry Potter" sowie Spice-Girls-Video (Wannabe aus 1996) u.s.w. bekannt ist, wurde generalüberholt. Entworfen von George Gilbert Scott (Architekt der Albert Hall und auch der Nikolaikirche in Hamburg) u.a. nach dem Vorbild der Kathedrale von Salisbury und am 5. Mai 1873 von Königin Victoria eröffnet, ist das Gebäude so hollywoodfilmhaft gotisch, dass der Betrachter erwartet, an den Türmen Fledermäuse umherflattern zu sehen. Das Hotel war das erste in London, das über einen Aufzug verfügte. Wenn Gäste damals den Lift zum ersten Mal benutzten, bot ihnen ein Concierge Brandy gegen die Nervosität an.

In den dreißiger Jahren verwüsteten Mitglieder der australischen Cricket-Mannschaften eines der oberen Stockwerke, weil sie eine spontane Bowling-Partie veranstalteten. Im Jahr 1935 schloss das Hotel, um Büros für Bahnangestellte Platz zu machen. Durch den Einsatz des britischen Dichters und viktorianischen Baukunstliebhabers Sir John Betjeman wurde das Gebäude vor der Zerstörung durch Bulldozer gerettet, indem das Gebäude 1967 unter Denkmalschutz gestellt wurde. Nachdem der Bahnhof die aktuellen Brandschutzbestimmungen nicht mehr erfüllte stand das Gebäude seit 1985 leer. Ab 2011 können nicht nur Geschäftsreisende die Opulenz des alten Bauwerks genießen: die Marriott-Kette hat hier ein Fünf-Sterne-Haus mit über 200 Zimmern und mehreren Luxus-Apartments eröffnet, die 150 Million Pfund verschlungen hat.

Neue Hochgeschwindigkeitsschiene
Und direkt nebenan starten die Verbindungen zum Eurotunnel. Denn die Eurostar-Züge verkehren von St Pancras über ein 108 Kilometer langes Schienenstück namens "Channel Tunnel Rail Link" (CTRL) durch Kent zum Eingang des Kanaltunnels in Folkestone, an die neuen Haltestellen Stratford und Ebbsfleet vorbei.

Das gesamte Projekt, das aus finanziellen Engpässen in zwei Bauphasen aufgeteilt wurde, ist mit dem Bau von vielen Brücken und einem langen 20km Tunnel unter Ostlondon und einem unter der Themse eines der jemals größten Hoch-/Tiefbauprojekte der britischen Inseln. Es wurde vom britischen Baukonsortium ARUP gestemmt (am Sony-Center, Berlin auch stark beteiligt) und vom Michael John Glover geleitet.

Zeichnung: http://www.hochgeschwindigkeitszuege.com

Mit 300 km/h fahren die Eurostar-Züge zwar nicht ganz so schnell wie der französische TGV (320 km/h Spitze) oder die deutschen und japanischen Schnellzüge – doch immerhin nah dran und Balsam für die britische Eisenbahner-Seele nach Jahren erbärmlicher Leistungen im Schienenverkehr. Dafür müssten einige für die Inseln fremde technische Vorschriften umgesetzt werden. An den Bahnhöfen z.B. liegen die Bahnsteige 760 Millimeter über der Schienenoberkante (in Großbritannien sind 915mm standard). Für die Strecke zum Kanaltunnel ist das Zugsicherungssystem "contrôle de vitesse par balises" (Abkürzung KVB) erforderlich, das im Netz der RFF in Frankreich eingesetzt wird. Das System KVB besteht aus streckenseitigen Balisen (eine Art Transponder) mit Signalcodiergeräten und rechnergesteuertem Fahrzeuggerät. Es handelt sich um ein Überlagerungssystem, bei dem das Signal von herkömmlichen Signalanlagen überlagert wird. Das System ist vom schwedischen ATC (Automatic Train Control) Zugbeeinflussungssystem abgeleitet.

Mit der neuen Route und der wiedererstrahlten gotischen Schönheit von St. Pancras ist das anglo-französische Geschwindigkeitsgefälle zumindest teilweise aufgehoben. Für die Belgier und Franzosen hat das auch psychologisch und geschichtlich gesehen Vorteile – sie müssen nicht länger an einer Station namens Waterloo ankommen, wenn sie nach Großbritannien wollen. Immerhin, nach 13 Jahren Betrieb konnte Waterloo International knapp 82 Millionen Eurostar-Fahrgäste zählen.

Das britische Bahnunternehmen  Eurostar, das Zugverbindungen von London nach Paris, Brüssel über Lille anbietet, konnte mit der neuen Strecke die Fahrzeiten um je 25 Minuten verringern. Die Fahrt von London nach Paris dauert damit zwei Stunden und 15 Minuten, nach Brüssel eine Stunde und 51 Minuten und nach Lille eine Stunde und 20 Minuten. Allein nach Paris verkehren täglich 17 Züge von St. Pancras aus. Innerhalb der ersten 6 Monaten nach Neueröffnung wurden bereits eine Million Fahrkarten verkauft.

Aber es gibt auch andere Gesellschaften, wie z.B. Southeastern (Regionalverkehr) und DB Schenker (Güterverkehr) die auf der Strecke CTRL verkehren und demnächst auch Veolia (NL), RENFE (SP) und DB selbst. Allerdings ist Eurostar momentan die einzige Gesellschaft mit internationalem Verkehr, die die Gleise von St Pancras International benutzt.

Eurostar
An den Gleisen 5 bis 10 in der Haupthalle gelten für den Zugverkehr besondere Sicherheitsvorkehrungen. Es ist notwendig, dass die Passagiere vor Einstieg in den Zug mit ihrem Ticket einchecken und eine Pass- und Gepäckkontrolle durchlaufen, ähnlich wie an einem Flughafen. Der hierfür vorgesehene Check-in-Bereich wurde unterhalb der Bahnsteige eingerichtet, die sechs Meter über dem Straßenniveau liegen. Ursprünglich wurde das Gewölbe zur Lagerung von Bierfässern genutzt, die von Burton-upon-Trent (bekannt wegen ihrer zahlreichen Brauereien) dort hin transportiert worden waren. Die vom Eurostar genutzten Gleise sind durch Glaswände vom Rest des Bahnhofs abgetrennt und nur mit Rolltreppen und Aufzügen aus dem Check-in-Bereich erreichbar. Übrigens: Alle Glaswände im Inneren wurden von der deutschen Firma Scholl Glaswerke aus Barsinghausen geliefert.

Vielfältige Verbindungen
Von Eurostar abgesehen ist St Pancras einer der Hauptbahnhöfe von London. Er befindet sich im Stadtbezirk London Borough of Camden zwischen dem Neubau der British Library im Westen und dem Bahnhof King’s Cross im Osten. Der Bahnhof ist Ausgangspunkt der Fernzüge auf der Midland Main Line. Diese verkehren in die East Midlands und nach Yorkshire inklusive Luton, Bedford, Leicester, Nottingham, Derby und Sheffield. Vereinzelte Züge fahren auch nach Burton-upon-Trent, Leeds, Barnsley, Scarborough und York.

Die Bahnhofshalle war bis November 2007 wegen umfangreichen Umbauarbeiten geschlossen. Vom 12. April 2004 bis zum 14. Juli 2006 hielten die Züge in einem temporären Bahnhof weiter nördlich. Die Bahnsteige im temporären Bahnhof waren über Aufzüge und Rolltreppen erreichbar. Unter der Haupthalle befindet sich der Zugang zur U-Bahnstation King’s Cross St. Pancras.

Die Gleise 1 bis 4 dienen als Terminus der Midland Main Line und werden ganz von Network Rail verwaltet. Hier sind Zugsicherung und Signalisierung nach britischen Standards erforderlich. Die für den nationalen Verkehr vorgesehenen Bahnsteige haben die britische Standardhöhe von 915 mm über SO.

Die Gleise 11 bis 14 sind für die 225 km/h schnellen Regionalzüge der Southeastern Railway nach Kent vorgesehen und während der Olympischen Spiele 2012 auch für den Pendelzug Olympic Javelin (Japanischer Schnellzug von Hitachi) zum Bahnhof Stratford International mit dem Olympischen Dorf und den Sportstätten.


Der Anfang

Vorgeschichte

Die mittelenglische Eisenbahngesellschaft Midland Railway entstand 1844 aus drei anderen Midlands-Eisenbahngesellschaften mit Hauptsitz in Derby. Die Midlands-Gegend um Birmingham herum war das Kohlerevier der Insel, wo im 18. Jh. die industrielle Revolution ihren Ursprung nahm. Dort war die Großindustrie zuhause. London jedoch war noch immer das Handelszentrum des weltweiten "Empire", zeitweise mit dem größten Handelshafen der Welt. Somit war es wichtig Verkehrsverbindungen zur Hauptstadt aufzubauen. Zuerst wurden Kanäle durch das Land gebaut, die die schweren Lasten transportieren konnten. Aber als die technische Innovation weiter voranschritt und die Dampfmaschine entdeckt wurde, begann die Eisenbahn durch ihre Schnelligkeit attraktiv zu werden. 


Danach ging es in einer wirtschaftlichen Boomzeit Schlag auf Schlag weiter. Schon seit 1840 betrieb Midland indirekt Verbindungen von Nord-/Mittelengland nach London, wollte aber den Zugang nach London weiter ausbauen. Allerdings besaß sie keine Hauptstrecke in die Hauptstadt und musste sich zunächst mit anderen Eisenbahngesellschaften einigen. Sie sicherte sich die Betriebsrechte zur Mitbenutzung einer Trasse zum Kopfbahnhof Euston (eröffnet 1837) bei der London & North Western Railway und ging ein Gemeinschaftsprojekt mit der Great Northern Railway ein, um eine neue Verbindung nach King's Cross (eröffnet 1852) auszubauen. Aber alle Strecken waren bald überlastet und die Zusammenarbeit mit anderen eigentlich im Wettbewerb stehenden Gesellschaften wurde immer problematischer.

Midland hatte sehr viel Geld mit dem Gütertransport von Kohle, Eisen und auch Bier verdient und das Passagieraufkommen stieg zu der Zeit sehr stark an. Aber ohne eigenen Bahnhof in London war der eigene wirtschaftliche Erfolg nur begrenzt möglich. Für 20.000 Pfund erwarb Midland 1863 die Rechte an einer neue Hauptstrecke in die Hauptstadt, die nach St Pancras führte.

 


Die Bezirke Londons mit Camden rot gekennzeichnet

St Pancras ist nur ein Teil des Londoner Bezirks Camden (erst 1965 gegründet), der im Norden an das Zentrum grenzt. Der heilige Pankratius (* um 290 in Phrygien; † um 304 in Rom) war ein römischer Märtyrer der frühen christlichen Kirche. Er wurde mit 14 Jahren enthauptet. Der Name kommt aus dem Griechischen und bedeutet Der alles Besiegende.

Planung
Der Vorstand von Midland hatte große Visionen und wollte den besten Bahnhof Londons bauen. Ein Unterfangen, das gar nicht so leicht war. 

Der Chef-Ingenieur von Midland, William Henry Barlow, wurde ausgesucht, um dies zu realisieren. Mit Rowland Mason Ordish zusammen legte er den ersten Plan vor, in dem die Bahnhofshalle aus einer selbsttragenden Konstruktion mit einer Breite von 74m, einer Länge von 210m und einer Höhe von 30m die größtmögliche Ausnutzung der Grundfläche ohne störende Pfosten vorsah. Die Halle wurde nach Barlow benannt und war 25 Jahre lang das größte selbstragende Bauwerk der Welt und ist es heute wieder.

Barlow entschied, den nahe gelegenen Regent's Kanal zu überbrücken. Wegen des natürlichen Südgefälles des Grundstücks wurden die Gleise aufgestützt über den Boden gelegt. Somit gab es in der Bahnhofshalle ein großes Untergeschoß mit einer Höhe von sechs Metern, das als Kellerraum dienen und zusätzlich als Lagerraum vermietet werden konnte. Dazu wurde auf der Vorderseite Platz für ein großes Hotel neben dem Haupteingang des Bahnhofs vorgesehen. Das Bahnhofsprojekt wurde ausgeschrieben und von den Waring Brothers (1841 bis in die 1870er) für umgerechnet 25 Millionen Euro gewonnen. Den Auftrag zur Dachkonstruktion bekam die Butterley Ironworks (1790 bis 2009) für umgerechnet 12 Millionen Euro.

Bauort St Pancras
Die Gegende, wo der Bahnhof St Pancras gebaut wurde wird gewöhnlich King's Cross genannt und liegt gleich am nördlichen Rand einer Sperrzone, die schon 1846 ertmals eingerichtet wurde, um den Bau weiterer Bahnhöfe im Stadtzentrum zu vermeiden. Das Gebiet von St Pancras liegt eigentlich gleich nördlich davon, dort, wo das Gütergelände vorgesehen war. Da sich Midland zuvor Euston und King's Cross bediente und der neue Bahnhof in der Nähe bleiben sollte, war die Entscheidung für dieses Gebiet nahliegend.  Wegen schwierigem Gelände war es relativ wenig bebaut und vor allem von Armen und sehr vielen ausländischen Immigranten, vor allem Franzosen bewohnt.

Ursprünglich war diese Gegend mit der alten Kirche St Pancras (einer der ältesten christlichen Andachtsorte Englands) verbunden. Vermutlich durch die Feuchtigkeit des Gebietes wurde Kentish Town weiter nördlich immer mehr bevorzugt. Lord Camden baute jedoch das Gebiet gleich nördlich von St Pancras ab Ende des 18. Jh. aus und Camden Town wurde dann auch beliebter als St Pancras.


Alte Kirche St Pancras mit River Fleet, 1815

St Pancras war für die dort zahlreich vorhandenen Friedhöfe bekannt. Diese Kirche besaß selbst einen relativ großen Friedhof, der damals, wie fast alle in London, überfüllt war. 1854 wurde er durch ein Gesetz geschlossen, obwohl er seit vielen Jahren nicht mehr benutzt wurde und zum Ende des 19. Jh. in eine wunderschöne Parkanlage umgebaut worden (St Pancras Gardens). Der Friedhof von St Pancras ist eng mit dem englischen Schriftsteller Charles Dickens verbunden, der auch in der Nähe gewohnt hat. Dort ist auch der berühmte Architekt John Soane (†1837) begraben, dessen Familiengrab 1924 als Vorbild der britischen Telefonzelle diente! Auch der jüngste Sohn von J.S. Bach ist dort begraben.

Vorbereitung
Das Gelände neben King's Cross, das für den Bahnhof benötigt wurde, war schon bebaut. Weiter nördlich auf der anderen Seite des Kanals sah die Situation für den Güterhof entspannter aus. Midland fing an, für die Trasse und das Gebäude aggressiv Grundstücke am vorgesehenen Platz in den Gebieten Somers Town und auch Agar Town aufzukaufen. Nach einem neuen Gesetz aus dem Jahr 1866 durfte die Midland Railway u.a. eine Zwangsenteignung vornehmen, die hier Anwendung fand. Es wird vermutet, dass dadurch mehrere zehntausend Menschen ihr Zuhause ohne Kompensation verloren.

Somers Town, ein Stadtgebiet gleich südwestlich von St Pancras, das früher der Charterhouse-Schule (traditionsreiche Privatschule) gehörte, die wiederum es von einem Kloster gekauft hatte, wurde von John Somers (hochrangiger Politiker und Berater des Königs) gekauft. Für den Bau des St Pancras Bahnhofs wurde eine größere Fläche im Dreieck New Road (später Euston road)/Skinner St, Brewer St./Platt Terrace und Weston Place (später St. Pancras Road) geräumt (siehe alte Straßenkarten unten).


Strassenplan von St Pancras/Somers Town/King's Cross, 1837


Zum Vergleich: Das Gebiet um den Bahnhof nach dem Bau und der Verlauf der ersten U-Bahn-Strecke

 

Eine andere Gegend, die für den Bau des Güterhofs komplett geräumt wurde war Agar Town nach William Agar genannt. Nördlich von Somers Town auf der anderen Seite des Regent's Kanal hatte sich eine größere Siedlung entwickelt.  Nach dem Tod von Agar 1841 hatte seine Frau kleine Parzellen für jeweils 21 Jahre verpachtet. So entstand einer von vielen Londoner Slums mit billigen Behausungen.


Strassenplan von Gebiet im Norden vom Bahnhof (vor und nach dem Bau)

Zwischen den beiden Orte lag der alte nicht mehr genutzte Friedhof der alten Kirche St Pancras. Die Eisenbahntrasse sollte dort über eine Ecke verlaufen (siehe Karten oben). Nach Einschätzung von Midland, war diese Fläche umproblematisch, da oberflächlich kaum wahrnehmbare Zeichen einer Benutzung vorhanden war. Eine beinah folgenschwere Entscheidung.

Auch eine erst wenige Jahre zuvor erbaute anglikanische Kirche St Luke's an Ecke New Road (später Euston Road) und Skinner Street (später Midland Road), die übrigens eine ältere Kirche ersetzte, die widerum wegen dem Bau vom Bahnhof King's Cross versetzt wurde, stand im Weg. Für 12.500 Pfund wurde das Grundstück der Kirche zwangsweise erworben.

Das Kirchegebäude wurde anschließend für 526 Pfund an die wenige Kilometer entfernte Gemeinde Wanstead verkauft. Dort wurde sie unter Aufsicht des ursprünglichen Architekten John Johnson leicht verändert wieder aufgebaut und als die Wanstead Congregational Church eingeweiht. Seit 1972 nach dem Zusammenschluss der Presbyterian Church of England und der Congregational Church of England and Wales in die United Reformed Church (URC) wurde sie in die Wanstead United Reformed Church umbenannt.


Wanstead United Reformed Church

Foto: Jeff Van Campen
Neue St Luke's in Kentish Town

Als Ersatz für die abgerissene Kirche wurde eine neue St Luke's 1869 von Basil Champneys gebaut (Champeys hatte Verwandtschaft im Kirchenkreis. Seine Nominierung sorgte für Missstimmung bei John Johnson, der sich umgangen fühlte!), die jedoch in Kentish Town, weiter nördlich errichtet wurde. 1991 wurde sie mangels Zuspruch geschlossen. Erst ab 2011 wurde sie auf Anweisung des Bischoff von London wieder geöffnet und renoviert. Seit 2012 wird sie gut besucht.

 

Nachdem in der armen Gegend Somers Town keine Ersatzkirche vorhanden war, liess der erfolgreicher Händler von spitzenstoffen und Philanthrop George Moore 1868 mit seinem Geld als neue Kirche Christ Church mit angrenzender Schule für die Bewohner von Somers Town bauen. Beides wurden im zweiten Weltkrieg zerbombt und existieren heute leider nicht mehr.

Der Bau
Das Gelände war nicht einfach. Zum einen wegen des Südgefälles aber auch wegen der Gaswerke gleich in der Nähe, des River Fleet (nach dem Fleet Street benannt wurde) und des Regent's Kanal, der schließlich, entgegen der ursprünglichen Planung, überbrückt wurde.


Bau der Trasse im Norden.
Im Hintergrund der halbfertige Bahnhof

National Railway Museum
Einige der 850 gusseisernen Stützsäulen vom Keller

 

National Railway Museum
Bau des Bodens/Kellerdecke der Bahnhofshalle

Foto: JB Pyne/National Railway Museum
Verlängerung der Dachkonstruktion nach Norden


Auch am Friedhof kam es anfänglich zu Problemen da dort immer mehr menschliche Überreste zu Tage befördert wurden, die für eine große Entrüstung in der Öffentlichkeit sorgten. Deshalb sah sich der zuständige Bischof von London, Archibald Tait, gezwungen einzugreifen. Arthur Blomfield (Sohn des vorangegangenen Bischofs und selbst Kirchenarchitekt) wurde vom Bischof beauftragt die Exhumierung und Wiederbestattung der Leichen zu beaufsichtigen. Diese entsetzliche Aufgabe übertrug er seinem Architektenschützling Thomas Hardy, der im Friedhof eine Esche pflanzte und mit vielen aufgestellten Grabsteinen umsingelte, die noch heute zu bewundern sind. Thomas Hardy wurde später als Schriftsteller sehr berühmt.

Foto: Jacqueline Banerjee
Hardy-Baum (Trennmauer zur Gleisanlage im Hintergrund)

Des weiteren sorgten technische Probleme mit der Dachkonstruktion und ein Choleraausbruch in London (1866) für Unterbrechung und Verlangsamung des Baus. Auch 1866 ging im Zuge einer Finanzkrise eine sehr wichtige Londoner Bank pleite und riss andere mit sich. Kredite wurden knapp und der Bau des Bahnhofs schwankte.

Foto: J Ward/National Railway Museum
Vermutlich nach Inbetriebnahme des Bahnhofs.
Das Hotel/Bürogebäude waren noch nicht fertig

Trotzdem konnte der Bahnhof mit 6.000 Arbeitern, 1.000 Pferden und 100 dampfgetriebenen Kranen innerhalb von vier Jahren errichtet werden. Obwohl er zu diesem Zeitpunkt nicht ganz fertig war, wurde am 1. Oktober 1868 der Londoner Bahnhof ohne große Feierlichkeiten jedoch gleich mit einem Paukenschlag in Betrieb genommen: Der erste Zug, ein Schnellzug nach Manchester, fuhr von Kentish Town ohne Halt bis Leicester (156 km) und stellte einen Rekord auf - das war damals die längste Zugfahrt der Welt ohne Zwischenhalt.

Foto: J. Ward/National Railway Museum
Scheinbar kurz vor der Inbetriebnahme, 1868 - noch keine Bahnhofsuhr zu sehen!

 

 

Der Hotelbau
Im Mai 1865 nachdem der Bau des eigentlichen Bahnhofs schon begonnen hatte, wurde ein Wettbewerb veranstaltet, um den besten Entwurf für das Gebäude und das Hotel zu finden. Elf Teilnehmer wurden eingeladen, ein Angebot abzugeben.


Vermutlich kurz nach Fertigstellung des Hotels

Mit einer Verlängerung der Abgabefrist schenkte eines der Vorstandsmitgliedern seinem Favoriten George Gilbert Scott mehr Zeit, um den Auftrag zu bekommen. Sein Entwurf eines neugotischen Gebäudes mit einem Uhrenturm, der 80 Meter in den Himmel ragte war zwar mit 315.000 Pfund (heute rund 25 Millionen Euro) der teuerste, beeindruckte aber den Midland-Vorstand sehr. Trotzdem musste Scott unmittelbar danach den Bürotrakt um zwei Etagen reduzieren und das Hotel um eine. Sein Honorar wurde erst nach Fertigstellung ausgezahlt.

Auch durch finanzielle Engpässe durch die Finanzkrise wurde am Gebäude weiter gespart. Z.B. wurden viele Wandnischen nicht mit Figuren bestückt. Trotzdem betrugen die Gesamtbaukosten knapp 440.000 Pfund (heute umgerechnet ca. 30 Millionen Euro). Der Bau des Midland Grand Hotels begann 1868 und wurde stufenweise bis 1876 beendet. Das Gebäude bestand aus 60 Millionen Ziegelsteinen und fast 10.000 Tonnen Stahl sowie Säulen aus 14 verschiedenen britischen Natursteinsorten. Zuerst wurde der Ostflügel fertiggestellt und am 5. Mai 1873 durch Königin Victoria eröffnet.

Das Hotel der Superlativen besaß eine Ausstattung, die für die damalige viktorianische Zeit nur vom Feinsten war. Die besten, teuersten Zimmer befanden sich in den ersten drei Etagen. Auch innovativ waren feuersichere Betonfussböden und der hydraulisch betriebene Fahrstuhl oder, wie damals geworben wurde, die "aufsteigende Kammer" - eine ziemliche Weltneuheit. 1899 wurde am Eingang eine Drehtür vom Erfinder, Theophilus Van Kannal eingebaut. Allerdings waren die Zimmer nicht mit eigenem Bad und Toilette ausgestattet, sondern es gab Gemeinschaftsbäder auf jeder Etage (davon nur 5 mit insgesamt 9 Badewannen für das ganze Hotel!) und Nachttöpfe im Zimmer, die von einer Menge Personal gepflegt werden mussten. Erst einige Jahre später war die Toilette, wie wir sie jetzt kennen, allgemein erhältlich (z.B. von der Thomas Crapper Sanitärfirma verbessert) aber die feste Bausubstanz ließ eine Verrohrung im Zimmer nicht zu. Außerdem gab es dort kein fliessendes Warmwasser im Zimmer und auch keine Heizung und beim Bau noch kein elektrisches Licht! Das Nobelhotel The Savoy war das erste in London, das 1889 über Bad/Toilette/Warmwasser im Zimmer verfügte. Bis zum Ersten Weltkrieg konnte sich das Midland Grand Hotel noch behaupten und für Midland Gewinne abschöpfen.

Moderne Zeiten
Aber der Zahn der Zeit nagte. 1922 wurde Midland Railway an London, Midland & Scottish Railway verkauft und schließlich wurde das Hotel 1935 geschlossen. Unter dem Namen St Pancras Chambers wurde das Gebäude danach als Eisenbahnbüros verwendet. Der Bahnhof überlebte fast unbeschadet die Kriegsbombardierung und diente ab 1948 als Zentrale der Hotel- und Gastronomieverwaltung der britischen Eisenbahn (British Transport Hotels). Im Trend der Zeit sollte 1966 das Gebäude abgerissen werden, was nur durch die erkämpfte Einstufung in die höchste Denkmalschutzstufe abgewendet werden konnte. Später allerdings bestand es nicht mehr gegen die Brandschutzbestimmungen und das Gebäude musste 1985 geschlossen werden.

Es gaben Pläne die beide Bahnhöfe St Pancras und King's Cross zu verschmelzen. Aber 1997 fiel die Entscheidung für einen neuen Bahnhof mit U-Bahn-Anschluß für den Eurostar. St Pancras soll diese Rolle spielen.

Nach einem Master-Plan für das gesamte Projekt von Foster & Partners (führender Architekt: Alastair Lansley, der 40 Jahre zuvor mit Sir John Betjeman für den Erhalt des Bahnhofs gekämpft hat) wurde der Bahnhof umgebaut und in die moderne Welt integriert. In der Halle, die wegen der fast 400 Meter langen Eurostar-Züge auch massiv nach Norden erweitert wurde, fand sehr viel Flachglas Verwendung, das von zwei deutschen Firmen geliefert wurde: Wolff+Meier (die Dachkonstruktion) und Scholl Glaswerke (die Trennwände im Inneren). Am 11. November 2007 wurde der Bahnhof St Pancras International mit einem neuen Geschwindigkeitsrekord an der Strecke Paris-London in Betrieb genommen und am 14. November feierlich eröffnet.

Foto: Dent of London
Die Bahnhofshalle noch als Baustelle mit der neuen Dent-Uhr

Als damals der Bahnhof stillgelegt wurde wollte die Staatsbahn Kapital schlagen und fing an das Inventar auszuschlachten. Sogar die große Bahnhofsuhr wurde an einen amerikanischen Sammler für die stolze Summe von 250.000 Pfund verkauft, fiel jedoch bei der Abmontage zu Boden und zerschmetterte! Die Bruchteile kaufte einen jetzt 91 jährigen ehemaligen Zugmitarbeiter und Eisenbahn-/Uhrennarr namens Roland Hoggard für 25 Pfund, der über 18 Monate die Uhr bestmöglich reparierte und in seinem Garten an der Giebelwand einer Scheune auf seinem Hof am Priory Farm in Thurgarton, Nottinghamshire aufstellte (allerdings mit elektrischem Uhrwerk). Dent, der beauftragte Traditionsuhrenhersteller der neuen (wie der alten) Bahnhofsuhr, spürte ihn auf, um eine exakte Kopie davon machen zu lassen. Die neue Uhr ist mit einem elektrischen Uhrwerk der Traditionshersteller Smith of Derby ausgestattet (die Hauptstadt Derby war auch die Zentrale der Midland Railway).

Foto: Dent of London

Foto: Dent of LondonFoto: Dent of London
Die neue Uhr von Dent of London

Erst 2005 gab es die Baugenehmigung für die umfassende 150 Millionen teuere Renovierung des Hotels, das von der Manhatten Loft Corporation (MLC) auf sieben Etagen mit knapp 240 modernen Zimmer (inkl. 38 Suiten) ausgestattet wird, die sich zum größten Teil im neuen postmodernen Trakt auf der Westseite der Halle hinter dem Hauptgebäude befinden. Einige wenige Zimmer wurden originalgetreu im alten Hotelteil renoviert, die eine Auflage der English Heritage erfüllten. Dazu kamen neun Konferenzräume und 67 bis zu drei Millionen teuere Luxuseigentumswohnungen, wie auch Pool, Wellnessbereich, Sauna und Fitnessraum. Allerdings ist 2006 der Mitinvestor, die englische Brauereigruppe und Franchisenehmer der Marriot-Gruppe Whitbread aus dem Projekt ausgestiegen und hat für einige Aufregungen und Verzögerungen gesorgt. Somit musste MLC direkt mit Marriot zusammenarbeiten, damit das Hotel überhaupt fertig wurde.

Erst am 5. Mai 2011 gab es die feierliche Eröffnung des neuen 5-Sterne Renaissance Hotels der Marriot-Kette. Tag genau 138 Jahre nach der Ureröffnung.

Fassung, Gestaltung und Bahnhofsfarbfotos (2 bis 6) und das letzte Foto: Johnny Glover